Gwanju Fortsetzung


Es ist schon einige Zeit vergangen, seit meiner Rückkehr. Ich bin wieder im Alltag angekommen. Trotzdem möchte ich meine Berichte fortsetzen, besonders natürlich den letzten. Und genau hier werde ich nun anknüpfen.

Wir standen also vor dem Kindergarten und ich habe fotografiert, während meine Männer schon wieder fleißig recherchiert haben. Die Erzieherinnen wussten allerdings gar nichts,  da sie alle noch nicht so lange in der Stadt lebten.  Sie rieten uns nur,  wie so viele vorher, ins Communitycenter zu gehen,  um dort nach Informationen zu fragen.  Da es in Sichtweite war,  entschlossen wir zuerst dorthin und dann zum Golden Hotel zu gehen.  Und wieder begann das gleiche Frage- und Antwortspiel.  Auch hier wurde telefoniert und in alten Akten geblättert. Aber es ergab sich nichts Neues.  Wir hinterließen einen Flyer und machten uns auf den Weg zum Golden Hotel. Als wir die Straße wieder zurück liefen,  hielt uns eine alte Dame an,  die uns mit einem Rollator entgegen kam.  Sie saß auch vor dem Supermarkt,  als wir ankamen.  Byungho unterhielt sich kurz mit ihr.  Ich bin noch immer begeistert von seiner Art mit anderen Menschen zu reden.  Er ist so ein toller Kerl. Das muss ich einfach noch einmal betonen. Nachdem sie sich verabschiedeten erklärte er uns,  dass die Dame ihm erzählt hatte,  dass das Kyeung Heun Inn etwas weiter die Straße runter stand und  nicht wie wir wussten,  bei dem Kindergarten.  Wir ignorierten das erstmal,  denn die Frau schien schon sehr alt und etwas tüddelig.  Trotzdem sprintete Byungho zurück,  um noch schnell ein Foto des besagten Gebäudes zu machen.  Zurück bei uns gingen wir nun endlich zum Golden Hotel.  Und es war wirklich ein sehr altes Hotel.  Der Eingang befand sich im Hinterhof und mir kam das Gebäude sehr heruntergekommen vor.  Die Dame am Eingang rief von ihrem Glaskasten aus den Besitzer nach unten,  der uns ein paar Minuten später im Hof begrüßte.
Er wirkte eher distanziert, taute aber während der Unterhaltung auf und erzählte ein wenig von dem Hotel in dem ich gefunden wurde. Es war so etwas wie eine Pension.  Der Besitzer lebte dort und vermietete einzelne Zimmer.  Dieser sei,  Zitat: „fett und ungesund“  gewesen,  weshalb er annahm, dass er nicht mehr am Leben sei.  Von einem ausgesetzten Baby wusste er aber auch nichts.  Es gab damals einfach zu viele dieser Geschichten. Zu unserer Überraschung sprach auch er von dem Gebäude schräg gegenüber des Kindergartens.  Byungho hatte zum Glück das Foto gemacht und konnte es ihm zeigen und tatsächlich er bestätigte was die alte Dame vor ihm schon gesagt hatte.  Das Hotel hat dort gestanden. Es wurde aber vor ein paar Jahren abgerissen. Das Bild in meinem Kopf hatte schon vorher ein paar Risse bekommen und zersprang nun völlig in tausend Stücke.  Ich hatte das Haus gesehen,  das dort stand und es kam mir ungepflegt vor und ich hatte mir doch so gewünscht, dass es dieses hübsche blaue Haus mit den bunten Bildern und dem Spielplatz davor war. Ich war so müde und niedergeschlagen aber ich hatte keine Tränen mehr.  Wir kehrten also nochmal um und liefen erneut die Straße entlang.  Ich fragte mich ständig, was damals wohl passiert war.  Wer uns gesehen hatte,  ein Ehepaar mit einem fast noch neugeborenen Baby.  Haben sie mich auf dem Arm getragen oder,  wie es in  Korea üblich war in einer Tragehilfe (eine Art Decke mit Bändern,  Podaegi genannt) auf dem Rücken? Haben sie geredet?  Oder sind sie schweigend nebeneinander her gegangen?  Habe ich geweint oder geschlafen? Ich muss Schmerzen gehabt haben, haben sie versucht meine Wunden nicht zu berühren, um mir nicht noch mehr Qualen zu bereiten? Welche Häuser gab es damals schon und sind sie den gleichen Weg mit mir gekommen,  den ich gerade mit Raphael und Byungho  entlang ging? Only the mountains know.  Immer wieder kam mir dieser Satz in den Sinn.  Niemand konnte sich erinnern und es wurde so vieles umgebaut,  aber die Berge waren schon immer dort.  Sie sind meine stummen Zeugen.
Als wir vor dem Gebäude ankamen,  erklärte Byungho mir,  dass es sich um ein Seniorenzentrum handelt. Also eine Tagespflegestation für alte Menschen. Das tröstete mich ein wenig,  denn dabei handelt es sich ja ebenfalls um eine gute Einrichtung. Wir sahen hinein,  es war auch jemand drin und wir klopfen. Wie so oft kamen erstmal misstrauische Fragen aber als sie meine Geschichte hörte,  öffnete sie die Tür und trat zu uns nach Draußen.  Eine der betreuten Seniorinnen folgte ihr und setzte sich vor die Tür,  weshalb noch eine weitere Pflegerin unserem Gespräch folgte.  Sie konnten nicht viel helfen und boten uns deshalb noch etwas zu trinken an. Da es kurz vor dem Erntedankfest war,  gab es 식혜 (Sikhye). Ein traditionelles Getränk aus Reis und süßem Reiswein und viel Zucker.  Es war nicht unbedingt lecker,  weshalb ich meinen Becher schnell leerte.  Es stellte sich als falsche Taktik heraus,  denn der Becher wurde sofort wieder aufgefüllt. Wir erfuhren,  dass die Besitzerin der Hauses im oberen Stockwerk wohnt und vermutlich dort auch anzutreffen sei.  Und wir erfuhren weiterhin,  dass es sich dabei um die alte Dame mit dem Rollator handelte.  Wir waren erstaunt und brachen mal wieder in Gelächter aus.  Was für ein Zufall und wir haben sie für wirr gehalten.  Wir liefen also die Treppe hoch und klingelten.  Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und eine Frau schaute und kritisch an.  Wieder erzählte Lee und wieder stieß er auf Verständnis.  Die alte Dame hatte unser Gespräch schon gehört und kam ebenfalls zur Tür.  Wir erfuhren von ihr,  dass sie das Hotel vor zehn Jahren gekauft hatte und es abreißen ließ,  um das neue Haus darauf zu bauen. Viel mehr konnte sie uns nicht sagen.  Nur,  dass es noch einen alten Herrn im Haus nebenan gab,  der uns vielleicht helfen könnte. Auf die Frage,  ob sie ein Foto von dem alten Gebäude habe antwortete sie bedauernd,  dass sie es leider nur zerstören ließ aber kein Bild mehr davon hätte.
Von dem alten Mann erfuhren wir,  dass es am Anfang der Straße ein Café gibt,  dass schon damals existierte und nun von den Kindern der Besitzer geführt wird.  Sonst wusste auch er nichts.  Natürlich kehrten wir direkt in dem Café ein und nutzen die Gelegenheit für eine kleine Pause.  Es war ein sehr hübsches, kleines Café und der Eistee richtig lecker.  Der Chef war ein junger Mann Mitte-Ende Zwanzig,  er rief sofort bei seinen Eltern an,  um sich zu erkundigen,  ob sie Informationen für uns hatten.  Wieder konnten sie sich nicht an ein Baby erinnern,  dafür wussten sie den Namen des Hotelbesitzers noch.  Leider hatte der alte Mann vom Golden Hotel recht,  denn er war vor ein paar Jahre  schon gestorben. Damit endete unsere Tour nach Gwanju.  Wir machten uns auf den Weg zurück nach Seoul, dort fand nämlich gerade ohne uns das Closing Dinner statt. Nachdem wir dreizehn Stunden unterwegs waren, tat es uns sehr gut,  dass wir von den anderen mit donnerendem Applaus begrüßt wurden.

Dieser Tag war für mich der wichtigste und wertvollste aber auch der anstrengendste Tag der ganzen Reise.  Auch jetzt noch, genau vier Wochen später, erschöpft mich dieser Bericht noch sehr.  Deshalb mache ich hier eine Pause und werde demnächst noch mehr schreiben.




Aufarbeitung unserer Tour nach Gwangju


Mittlerweile bin ich wieder zuhause und leide noch sehr am Jet Lag und an Fernweh. Ich vermisse Seoul sehr und natürlich meine neuen Freunde.
Um ein echtes Fazit meiner Reise zu schreiben ist es noch zu früh. Ich bin noch sehr durcheinander und arbeite hart daran zu mir und zu meiner Familie zurück zu finden.
Trotzdem möchte ich ein bisschen was schreiben. Und zwar erzähle ich euch von diesem ganz besonderen Tag in Gwangju.

Jacob hatte es tatsächlich geschafft und einen Volunteer für mich gefunden.  Rapahel hielt ebenfalls sein Versprechen und begleitete mich und Byungho nach Gwangju . Wir starteten gegen 8:30 Uhr.  Der Weg war relativ unkompliziert, wir mussten nur einmal von der U-Bahn in den Bus umsteigen.  Da dieser angenehm leer war,  hatten die beiden Jungs Gelegenheit die Akten nochmal durchzusehen und unser Vorgehen zu planen.  Zuerst wollten wir eine kleine Polizeistation im Süden der Stadt aufsuchen,  weil in der Nähe das Communitycenter ist.  Das ist eine kleinere Version des Rathauses.  In der kleinen Polizeistation konnten sie uns allerdings nicht wirklich helfen. Dort hatten sie nämlich nichtmal Computer.   Sie rieten uns nur,  es in der nächsten etwas größeren Station zu versuchen. Wir hinterließen also einen Flyer und machten und auf den Weg zu besagter Polizeistation.  Dort verfügten sie tatsächlich über einen Computer mit Internetanschluss sogar,  waren aber trotzdem eher hilflos.  Aber immerhin waren sie bereit eine erneute polizeiliche Suche nach meinen leiblichen Eltern in die Wege zu leiten.  Das ist eigentlich eher unüblich und benötigt normalerweise einen größeren Papierkrieg,  Byungho hat aber verbissen darum gekämpft und durfte am Ende das Formular für mich ausfüllen.  Anschließend erfragten wir uns den Weg zum Communitycenter und suchten auf Anraten verschiedener Quellen nach einem Taxi. Das erwies sich allerdings als unerwartet schwierig.  Selbst per Anruf war nichts zu machen.  Wir liefen also etwas ratlos umher und stießen dabei auf das Büro eines Immobilienmaklers.  Meine Jungs sind natürlich geistesgegenwärtig reingegangen,  um zu erfragen,  ob ihm das Hotel bekannt sei.  Der Makler war zwar sehr in Eile,  suchte uns aber trotzdem die Telefonnummer und die Adresse eines Büros raus,  das sich um die Verwaltung und den Verkauf von Hotels kümmert.  Praktischerweise war es ebenfalls im Communitycenter zu finden,  unpraktischerweise gab es noch immer kein verfügbares Taxi.  Wir stiefelten also weiter in der Sonne herum.  Es war wirklich einer der heißesten Tage mit etwa 30°C im Schatten.  Von Schatten konnten wir aber nur träumen.  Außerdem konnten wir unseren Weg bald nicht mehr fortsetzen,  weil er über eine Schnellstraße führte, die keinen Fußweg hatte.  Raphael versuchte es sogar per ausgestrecktem Daumen aber so richtig populär scheint diese Geste in Korea nicht zu sein,  schlossen wir aus den Gesichtern der Fahrer in den vorbeifahrenden Autos.  Ich glaube nicht wenige von ihnen haben sogar beschleunigt.  Wir hatten trotzdem Glück, denn ein Taxi bog in die Straße und nahm uns auf. Wir waren erleichtert,  dass uns ein langer Fußmarsch erspart geblieben ist.  Und wir waren sehr erstaunt, dass wir nach ca. dreiminütiger Fahrt am Ziel waren. Ach,  was haben wir gelacht.  Ich muss noch immer grinsen,  wenn ich daran zurück denke.  Byungho fand schnell einen Ansprechpartner und für uns hieß es warten.  Am Schreibtisch wurde getippt und geblättert,  es wurden Anrufe getätigt und alte Dokumente aus dem Archiv geholt.  Ganz offensichtlich waren sie in diesem Büro wirklich bemüht etwas für uns zu finden. Die Wartezeit dehnte sich für mich schier unendlich. Ich wollte mir keine Hoffnungen machen und doch glomm ein kleiner Schimmer in mir auf,  als ich die alten Dokumente vor mir sah und immer mehr Angestellte für uns arbeiteten.  Nach einer gefühlten Ewigkeit kam jemand zu uns an den Tisch und erklärte uns was es mit dem Hotel Kyung Heung Inn auf sich hatte.  Es hätte in der Stadt drei Hotels mit diesem Namen gegeben,  es schien ein Begriff für diese Art von Unterkunft zu sein,  denn der offizielle Name des Hotels sei anders.  Das erste,  das in dem ich gefunden wurde existiert nicht mehr, das zweite wurde gerade von einem jungen Mann übernommen und das dritte,  das Golden Hotel gibt es noch und wird von einem alten Mann geführt.  Sofort fragte Byungho (da er sich selbst Lee nennt,  werde ich das nun auch machen)  Lee fragte also sofort nach dem Namen und Kontaktdaten des Mannes und hatte Glück.  Er hat ihn erreicht und wir konnten ihn treffen.  Als wir dann noch erfuhren, dass mein altes Hotel nun als Kindergarten genutzt wird und noch intakt sei,  brachen alle Dämme.  Ich war wirklich oft den Tränen nahe aber so richtig laufen wollten sie nicht.  Aber dort mitten im Büro mit lauter befremdlich dreinblickenden Fremden habe ich geheult wie ein Schlosshund, so richtig mit Schniefen und Rotz und diesem Heulschluckauf den man dann bekommt.  Lee war sichtlich überfordert und suchte schnell das Weite,  um andere Informationen zu finden.  Aber Raphael blieb bei mir,  nahm mich in den Arm und tröstete mich.  Das tat mir sehr gut.  Als ich dann soweit wieder hergestellt war, warteten wir auf ein Taxi und ließen uns an den Ort des Geschehens bringen.  Wir stiegen an der Hauptstraße aus,  direkt vor der Straße in der ich gefunden wurde und die ich jahrelang gesucht habe.  Bevor wir allerdings das Gebäude ansahen nutze Lee die Chance und interviewte ein paar alte Leute,  die vor einem alten Laden saßen. Sie kannten das Hotel auch und auch den alten Mann vom Golden Hotel. Und dann kam der Moment der Wahrheit.  Wir gingen ein Stück die Straße entlang und standen schon bald vor einem großen Haus in freundlichem Blau gestrichen aus dem fröhliche Kinderstimmen drangen. Ich glaubte mich endlich am Ziel und fotografierte und wünschte mir so sehr,  dass dieses hübsche Haus,  in dem Kinder so fröhlich sein konnten,  wirklich das Haus war in dem ich gefunden wurde.  Aber es sollte anders kommen….