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Kirche mal anders

Diese Woche war furchtbar stressig. Ich kam mir vor wie ein Taxidienst. Außerdem gab es keine Chance etwas Regelmäßigkeit in unseren Alltag zu bringen. Ich war also völlig platt. Wenigstens konnte ich so mal wieder schlafen. Leider mussten wir das Treffen mit unseren Koreanern am Freitag ausfallen lassen. Das war so schade aber mit allen Kindern und keinen Nerven wäre das eine Katastrophe geworden. Damit ich aber nicht auch noch meine koreanische Begrüßung vergesse (im Moment bin ich einfach nicht in der Lage mir irgendwas zu merken) sind wir heute nach Bremen gefahren. Dort gibt es eine evangelische koreanische Gemeinde. Schon lange hatten wir vor dort an einem Gottesdienst teilzunehmen. Und nun hat es endlich geklappt.

Mit Hyongu haben wir  vorher vereinbart, dass wir hinterher zusammen lernen werden. Ich sag es euch, irgendwann wird er in Tränen ausbrechen oder mich alternativ in doe Aller schubsen. Er müht sich immer so mit mir ab und ich vergesse alles. Für das nächste Mal hat er geplant mir einen Zettel mit den wichtigsten Phrasen zu schreiben, sozusagen ein persönlicher Mini-Sprachführer. Das wird also meine Überlebenspolice in Seoul. Ich hoffe wirklich, dass ich dort niemals verloren gehen werde. Ich würde vermutlich nie mehr nach Hause finden.

Nach Bremen sind wir zu Viert gefahren, Mini haben wir bei meinen Eltern gelassen. Wir sind sehr herzlich empfangen worden. Als wir kamen, hatte der Gottesdienst schon begonnen und wir blieben im Eingang stehen um uns zu orientieren. Aber es kamen direkt Menschen, die uns Plätze anboten und uns sogar ein Gesangbuch gaben. Im Anschluss haben uns Hyongu und SangAh begrüßt und uns zum Essen eingeladen. In der Gemeinde ist es Sitte, sich nach der Kirche noch im Gemeinderaum zu treffen und gemeinsam zu essen. Dort war auch Mikyung und hat uns gefragt, wie meine Fortschritte sind. Aber da gab es leider nicht viel zu berichten. Ich habe mich aber sehr gefreut sie zu sehen. Wir wurden einigen anderen Koreanern vorgestellt und alle waren sehr freundlich und offen, ja fast herzlich. Ich habe mich sofort sehr wohl gefühlt, was ir sonst unter Fremden eher schwer fällt.

Auch diese Erfahrung stimmt mich nachdenklich. Wie viel Korea steckt in mir? Diese Frage habe ich schon häufiger erwähnt und sie beschäftigt mich immer mehr. Wenn ich überlege wie sehr ich Korea als Kind und als Jugendliche und auch später noch abgelehnt habe, scheint mir mein Interesse fast ein bisschen unheimlich. Es ist als hätte irgendetwas in mir sich gelöst, sich einen Weg gesucht, um hervor zu brechen. Und nun sauge ich alles auf. Ja, ich genieße es sogar diese mir fremde Kultur kennenzulernen und vielleicht lerne ich auch sie als Teil von mir zu sehen und zu akzeptieren. Vorhin kam mir der Gedanke, wie seltsam es wäre, würden wir jeden Sonntag mit den Kindern diese Gemeinde besuchen. Sie würden wahrscheinlich nach einiger Zeit Koreanisch verstehen und vermutlich viel schneller, viel besser sprechen als ich. Irgendwie eine wirklich merkwürdige Vorstellung.

 

Seelenstriptease? Nein Freiheit!

Mich fragen hin und wieder Leser meines Blogs, ob ich mich nicht nackt fühle, wenn ich der ganzen Welt erzähle was in mir vorgeht. Auch mein Mann hat mich das schon gefragt. Und die Antwort darauf lautet eindeutig und ganz laut: Nein! Nein ich fühle mich nicht nackig und ich freue mich, wenn Menschen lesen was ich schreibe. Mit so vielen Lesern und positivem Feedback hatte ich niemals gerechnet.
Ich schreibe diesen Blog eigentlich hauptsächlich für mich und natürlich für meine Familie, damit alle wissen, wie es mir geht und wo ich mich herum treibe. Außerdem habe ich in den letzten Jahren immer wieder nach anderen gesucht, die von so einer Reise berichten und deren Erfahrungen ich nutzen kann, um mir die Entscheidung zu erleichtern, ob ich nach Korea fliegen sollte oder nicht. Leider konnte ich nicht viel darüber finden, auf Deutsch sowieso nichts. Ich bin mir sicher, dass es andere Adoptierte gibt, denen dieser Blog helfen wird und das finde ich gut.
Also teilt diesen Blog mit jedem, postet ihn in euren sozialen Netzwerken und bleibt auf und an meiner Seite.

Aber das beste an diesem Blog habe ich erst beim Schreiben bemerkt. Ganz langsam hat sich ein Gefühl eingeschlichen. Zuerst konnte ich es nicht einordnen, je öfter ich aber gefragt wurde, ob ich mich nicht unwohl fühle, wenn alle lesen können, was ich schreibe, desto klarer wurde es mir. Ich fühle mich frei. Frei zu erzählen was ich von mir erzählen möchte. So viel ich erzählen möchte und vor allem, wem ich es erzählen möchte. Ich bin nun 36 Jahre alt. Ich habe keine Ahnung mehr, wann ich angefangen habe zu sprechen. Ich habe allerdings seit diesem Zeitpunkt meine Lebensgeschichte gefühlte Tausend, nein Millionen Mal erzählen müssen. Ständig werde ich gefragt woher ich komme, wo ich geboren wurde, warum ich so gut deutsch spreche, wie ich zu meinem Namen komme, warum ich einen Koreanischen Nachnamen als Vor-und einen niederländischen Nachnamen habe, ja sogar, weshalb ich so groß bin. Je nach Stimmung beantworte ich die Fragen höflich abweisend, offen, freundlich, meist kurz angebunden reserviert, manchmal ignoriere ich sie und manchmal weise ich die Fragen schroff ab. Letzteres führt immer dazu, dass ich groß angesehen werde, in den Augen des Gegenübers blitzt Unverständnis auf und ich merke, wie sich mich abstempeln: unhöflich, unfreundlich, arrogant. Wie oft habe ich mich dabei schon gefragt, warum diese Menschen glauben, sie hätten ein Recht auf meine Lebensgeschichte, auf mein Privatleben? Gehe ich etwa zu einem Fremden und frage ihn woher er kommt und wieso er Deutsch spricht oder warum seine Nase schief ist? Nein, das mache ich nicht, weil ich nicht finde, dass es mich etwas angeht. Und jetzt, hier auf diesem Blog, jetzt endlich kann ich meine Geschichte erzählen, weil ich es möchte. Nicht, weil ich mich dazu gedrängt oder gezwungen fühle. Nein, einfach nur, weil es mir Spaß macht. Und weil ich mich darüber freue, dass es anderen Spaß macht mich auf diesem Wege zu begleiten.
Und bitte fühlt euch nicht auf den Schlips getreten, denn wahrscheinlich hat mir fast jeder von euch mindestens eine der aufgezählten Fragen schon gestellt. Seid euch gewiss, ich habe sie euch gerne beantwortet.

Habe ich hier meine ersten zwei Lebensmonate verbracht?

wpid-wp-1440627949030.jpegRaphael von Goal hat mir diesen Screenshot geschickt. Die markierte Adresse darauf ist das vermeintliche Haus meiner Birth-Family. Die Satellitenaufnahme dazu sieht übrigens etwa so aus: Screenshot_2015-08-25-16-22-34

Was mich zu der Annahme veranlasste, es handle sich um riesiges Slums. SangAh sagte mir aber, dass es keine Arme Gegend sei. Es scheint ein Stadtteil etwas außerhalb von Seoul zu sein. Ich nehme an, dass ich in Kürze dort in der Straße und auch vor dem Haus stehen werde. Um die Suche noch ein wenig voranzutreiben, habe ich Seonhui vom SWS gebeten ein Telegramm an diese Adresse zu schicken. Sie versprach das zu versuchen und mich zu benachrichtigen, sollte sich daraus etwas ergeben. Also heißt es für mich mal wieder: Abwarten.
Und ihr wisst ja sicherlich wie sehr ich Warten liebe.

Es sind heute noch Screenshot_2015-08-27-00-22-36

bis zum Abflug. Und ich werde immer nervöser. Meine Nerven liegen schon ziemlich blank. Und ich bin nicht sicher woran es liegt. Weil ich meine Kinder zwei Wochen alleine lasse, wegen des langen Fluges oder doch wegen der Familiensuche? Letzteres sollte mich eigentlich kalt lassen. Und doch arbeitet es offensichtlich sehr in mir. Wer weiß was diese Reise zutage bringen wird. Vielleicht erfahre ich auch, dass mein gesamtes bisheriges Leben ganz anders ist, als ich es immer angenommen habe. Ich habe wirklich nicht erwartet, dass mich all diese neuen Informationen so sehr berühren. Sobald aber eine neue E-Mail eintrifft schaue ich sofort gespannt nach und bin enttäuscht und erleichtert zugleich, wenn es nichts Neues gibt. Möglicherweise geht mir auch nur diese Ungewissheit auf den Geist. Den Mails nach wirkt es hin und wieder etwas umorganisiert. Wenn ich zum Beispiel zum fünften Mal gefragt werde, ob ich schon mit der Adoptionsagentur in Kontakt getreten bin, obwohl ich sogar deren Mails weitergeleitet habe. Dann lässt mich das doch ein wenig an der Zuverlässigkeit zweifeln. Allerdings vermute ich stark, dass es schlicht Kommunikationsprobleme oder Übersetzungsfehler beiderseits sind.

Ich weiß nicht mehr, ob ich es erwähnt hatte. Aber momentan läuft ein anders Coming-Home Programm einer Organisation namens NEST. Sie beschäftigen sich weniger mit der Familiensuche, sondern mehr mit dem Land. Rundreisen und Wanderungen stehen da auf dem Programm, auch nach Jeju-do. (An dieser Stelle ist ein äußerst bedauerliches Seufzen zu hören) Jedenfalls kenne ich eine der Teilnehmerinnen aus einer Adoptiertengruppe im Internet. Natürlich verfolge ich ganz gespannt ihre Erlebnisse und die Fotos. Ich muss sagen, dass mich das sehr beruhigt und mir auch Vorfreude macht. Hoffentlich ist unsere Gruppe auch so toll, wie ihre. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass ich so schon einmal einen kleinen Einblick ins Land und auch darauf bekomme, wie es sich dort für Adoptierte anfühlt. Danke dafür! :)

Verwirrungen, ein Koffer und ein Ausflug zum Hausbau

Ja, verwirrt bin ich allerdings so langsam. Vor ein paar Tagen habe ich eine E-Mail aus Korea bekommen, von Goal dieses Mal. Genauer gesagt, von meinem Mentor Raphael. Er hat sich noch einmal als derjenige vorgestellt, der mich bei meiner birth family Suche unterstützen wird. Nun hat er mir geschrieben, dass ich anhand der vorhandenen Namen und alten Adressen meiner Bio-Eltern die aktuelle Adresse herausfinden könnte, sofern sie überhaupt umgezogen sind. Ich war total verwirrt, denn ich wusste nichts von Namen, zumal SWS in der Mail vor einiger Zeit schrieb, dass meine Mutter nicht auffindbar und keine Daten vorhanden seien. Zum Glück hatte Raphael sich auf meine eingesendeten Unterlagen bezogen, die ich natürlich sofort noch einmal genauer gelesen habe. Und dann erinnerte ich mich wieder daran, das ich von Seonhui vom SWS zu Beginn der Jahres auch ein Dokument der Polizei bekommen habe, auf dem protokolliert war, wie ich gefunden wurde. Ich habe mir also erneut die Übersetzung dieses kurzen Protokolls vorgenommen. Und tatsächlich standen darin auch Namen.

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Nun verhält es sich allerdings so, dass ich schon immer davon ausging, dass diese Angaben nicht stimmten. Es scheint aber doch irgendetwas daran richtig zu sein, ansonsten wäre es nicht möglich gewesen jemanden zu finden. Auf dem Dokument wurde die ID entfernt, die angegeben war. Es scheint so etwas wie in den USA die Sozialversicherungsnummer zu sein. So ist es möglich jemanden dadurch zu identifizieren. Auf diese Weise müssen sie den vermeintlichen Vater gefunden haben. Aber das alles verwirrt mich sehr. 36 Jahre lang bin ich davon ausgegangen, dass es über mich außer meines Geburtsdatums keine Informationen gäbe. Und dann soll ich plötzlich sogar Namen und Wohnorte der bio-Eltern haben?

Es sind noch 19 Tage bis zum Abflug und dann bin ich hoffentlich zwei Wochen später etwas schlauer aus der ganzen Geschichte geworden.

Und weil gar nicht mehr so viel Zeit habe, habe ich nun endlich begonnen Dinge zu besorgen
die ich noch brauchte. Und sogar ein bisschen was für den Koffer zu sortieren. Ich befürchte ich werde nach der Reise einen Überseecontainer mieten müssen, damit ich nichts zurücklassen muss. Gibt es Koffer, die groß genug sind, Dinge für die Reise zu transportieren und hinterher auch alle Mitbringsel und was man sonst noch so dabei hat? Es gab damals ein Computerspiel, das hieß Baldur’s Gate. Darin konnte man eine Tasche finden, die „Nimmervoller Beutel“ genannt wurde. Die wurde, wie der Name es versprach, niemals voll und auch nicht schwerer. Es wäre toll, wenn jemand innerhalb der nächsten 19! Tage so etwas erfinden könnte. Ich würde es auch sofort kaufen.

So, genug von der Ferne, jetzt gibt es noch Neuigkeiten zu unserem Hausbau. Nach dem Gespräch mit der Firma Poggenburg bleibt es vorerst beim vereinbarten Termin. Das Haus soll im Dezember aufgestellt werden. Vorher wird noch ein Gespräch mit dem Chef stattfinden, der sich auf dem Grundstück ein Bild vom Bau machen möchte. Außerdem sollte Michael schon den Baustrom beantragen.
Tja, so langsam wird es wirklich ernst. Und ich frage mich, ob das nicht doch ein wenig zuviel Aufregung für mich ist. Aber nun ist es so. Die Geister die ich rief…

Ein Flügel in der Kirche

Gestern wäre ja eigentlich unser Koreanisch-Lernabend gewesen. Aber SangAh hatte keine Zeit, denn sie hat in Verden ein Konzert gegeben.
http://www.klavier-lee.de/
Jamina und ich waren dort, während Michael auf die Kleinen aufgepasst hat. Und der Besuch hat sich wirklich gelohnt. Es war so schön. Ich bin ja nicht unbedingt ein Freund der klassischen Musik. Aber es passte einfach, denn Klavierspieler faszinieren mich und der Klang eines Flügels ist so schön rein. Außerdem gibt es ein klassisches Stück das ich wirklich gerne mag. Und das ist „Die Mondscheinsonate“ von Beethoven. Das war gestern das erste Stück und es hat so toll geklungen. Ich hätte noch Stunden dort sitzen können.
Wer sie auch mal hören möchte, hat das am 20. September die Möglichkeit dazu. Wenn ihr Babybauch es zulässt, wird sie dort noch einmal zu hören sein. Sagt ihr liebe Grüße von mir, denn ich werde an dem Tag bekanntlich weit, weit weg sein.

Morgen in drei Wochen sitze ich sicher schon am Flughafen. Das sind also nur noch 22! Tage bis zum Abflug. So langsam wird mir doch etwas übel, wenn ich daran denke. Ich bin so aufgeregt. Und ausgerechnet jetzt muss der Norden wieder mal am Rad drehen. Mir war ja schon bewusst, dass ich in ein Land reise das sich im Krieg befindet. Aber muss denn das jetzt so offensichtlich sein? Das bereitet mir natürlich auch ein wenig Sorgen. Aber das wird schon werden. Im Moment verfolge ich gespannt die Berichte einer anderen Adoptierten aus Korea. Sie hat sich für einem anderes Heimreiseprogramm entschieden und ist heute in Incheon gelandet. Ich freue mich sehr auf Bilder und Berichte von ihr. Und ich wünsche ihr eine wundervolle Zeit, mit vielen neuen Erkenntnissen.

Sonst gibt es nichts weiter zu berichten. Aus Korea gibt es keine weiteren Neuigkeiten. Das ist mir, ehrlich gesagt auch gerade ganz lieb so. Nächste Woche werde ich endlich, endlich eine To-Do-Liste schreiben und die ersten Sachen zusammensuchen.

Die Büchse der Pandora

Vor einigen Jahren kommunizierte ich im Internet unter dem Pseudonym Pandoras Box. Und irgendwie fühle ich mich im Moment wie Pandora, die ihre olle Blechbüchse in den Händen hält und den Dosenöffner bereits angesetzt hat. Noch ist die Dose nicht ganz offen. Aber einen Blick konnte ich bereits hinein werfen. Allerdings habe ich nichts erkennen können, nur ein wildes Durcheinander.
Ich wusste von Anfang an, dass die Möglichkeit besteht, meine birth family zu finden. Tatsächlich aber habe ich nur verschwindend geringe Chancen für mich gesehen, dass das wirklich eintritt. Und nun bin ich noch nicht einmal in Seoul und es wurde evtl. mein Vater gefunden. Ich weiß, dass es nur eine Vermutung ist, da die Polizei aber an diesem Mann dran bleibt, wird sie mit großer Sicherheit meinen Vater in ihm vermuten. Ist schon irgendwie verrückt die ganze Situation. Wahrscheinlich sollte ich mich darüber freuen. Es verwirrt mich aber nur. Und wieder frage ich mich, ob ich das Richtige tue. Ich meine, sollte er sich identifizieren und wahrhaftig mein biologischer Vater sein, ich würde ihn in Korea treffen.
Doch allein die Vorstellung, ein kleiner Koreaner, tritt auf mich zu und erzählt mir was von Vaterschaft, ist für mich absolut unvorstellbar. Mein Vater und der Rest meiner Familie, alle sind blond und mehr oder weniger blauäugig. Da passt so ein Koreaner absolut nicht ins Bild. Und was soll ich dann mit ihm anfangen? Umarmen? Nett lächeln? Die Hand schütteln? Er ist ein Fremder für mich, sogar noch mehr als nur fremd. Er lebt am anderen Ende der Welt, in einer völlig anderen Kultur. Was sollte ich dann mit ihm reden? Von meinen jämmerlichen Sprachkenntnissen mal abgesehen wüsste ich nicht was ich sagen sollte.
Ich weiß, ich mache mir viel zu viele Gedanken um eine Sache die bisher fast nur Spekulation ist. Und trotzdem hören die Gedanken nicht auf zu kreisen. Irgendwas in mir verlangt ganz dringend nach Antworten. Nur doof, dass ich die Fragen nicht kenne.

Aber gut, ich habe noch 26 Tage Zeit darüber zu sinnieren. Das sind immerhin noch fast vier Wochen. Wer weiß schon was bis dahin noch passieren wird. Viel drängender wird langsam die Frage: Was um Himmels Willen soll ich nur einpacken?

Sprachbarrieren

Wenn ich in unsere FTH Gruppe schaue und auch,
als ich mich mit Sun Mi getroffen habe, denke ich darüber nach, wie seltsam es ist, dass wir alle im selben Land geboren sind und nicht dieselbe Sprache sprechen. Uns verbindet eine Menge, nicht zuletzt etwas so wichtiges wie die Suche nach den eigenen Wurzeln. Einer Suche, die fast alle von uns ihr Leben lang begleitet. First Trip Home,  heißt unsere Reise. Nach Hause sollen wir kommen. Aber wie sehr ist man in einem Land zuhause, dessen Sprache man nicht versteht und dessen Kultur der eigenen so fern ist?
Wie viel Korea trage ich in mir? Wie viel dieser Kultur müsste ich verstehen, ohne sie erlebt oder gelebt zu haben?
Korea oder Asien ganz allgemein hat mich als Reiseziel nie besonders gereizt.  Und auch jetzt,  bin ich mir nicht sicher, ob ich mich dort wohlfühlen werde.  Ich weiß schon jetzt, dass mir die deutsche Sprache fehlen wird. In einem Land zu sein, ohne mich verständlich machen zu  können behagt mir ganz und gar nicht. Aber unser lieber Koreaner hilft mir ja weiterhin tapfer beim Lernen. Übrigens habe ich seit gestern ein neues koreanisches Lieblingswort.: 물고기 gesprochen Mul Gogi.  Mul heißt Wasser und Gogi heißt Fleisch.  Wer kommt drauf?
Sinngemäß übersetzt ergibt es : Fleisch aus dem Wasser, kurz : Fisch. 
Das habe ich gestern gelernt.
Übrigens durften wir es uns  nach getaner Arbeit wieder gut gehen lassen. Es gab ein weiteres traditionelles Gericht namens 삼곱살 Samyeopsal,  gebratener Schweinebauch.  Das Fleisch wird in sehr dünnen Scheiben auf dem Tisch gegrillt. Die beiden haben das Fleisch extra für uns bestellt,  weil wir Deutsche das Fleisch ja lieber etwas dicker mögen.  Und wieder haben wir das Fleisch zusammen mit Reis und einem Klecks gesalzenes Sesamöl in den Mund balanciert.  Und lecker war es.  Es hat auch Spaß gemacht.  Ein bisschen ist es wie Raclette,  weil jeder auf sein Salatblatt stapelt,  was ihm schmeckt.  Reis,  Fleisch,  Sesamöl,  Kimchi und was immer auf dem Tisch steht.  Toll!
Aber ich möchte nach diesem kulinarischen Ausflug doch noch einmal ganz an den Anfang des Beitrags zurück.  Sprachbarrieren.  Ganz ehrlich habe ich den Titel und zwei Stichpunkte dazu schon vor einiger Zeit gespeichert,  um nicht zu vergessen,  dass es ein Thema werden sollte. Mir kommt nämlich immer wieder der Gedanke,  wie seltsam es ist eine Sprache zu lernen,  die ich in den ersten neun Monaten meines Lebens ständig um mich herum hatte.  Die ich kannte und soweit verstand,  wie es einem Säugling eben möglich ist.  Und scheinbar war es möglich.  Als ich nämlich im Alter von neun Monaten nach Deutschland kam, stellen meine Eltern nach einer Zeit fest, dass ich nie reagierte, wenn jemand mit mir sprach. Sie gingen mit mir zum Arzt. Er riet ihnen dazu in meiner Gegenwart Lärm zu machen. Das taten sie auch,  indem sie hinter mir eine Tür zuknallen ließen.  Wegen des anschließenden Gebrülls, wussten sie danach,  dass ich zwar gut hören aber offensichtlich nicht verstehen konnte,  was sie sagten.  Wie denn auch? Ich „sprach“  ja Koreansich. Die seltsamen Laute der Deutschen habe ich damals wohl nicht als Sprache erkannt,  so fremd war mir das alles.  Und nun ist es anders herum.  Deutsch ist zu meiner Muttersprache geworden und ich mühe mich damit ab,  Koreanisch lernen zu wollen.  Verkehrte Welt.

Verkehrte Welt herrscht übrigens auch beim Hausbau.  Wir haben heute nämlich eine Küche gekauft.  Müssen wir nun das Haus um die Küche herum bauen? Naja die Planer werden schon wissen was sie tun. Immerhin haben sie uns zur Eile geraten.  Und die Küche stand im Fachmarkt, als hätte ma  sie für uns dort aufgestellt.  Ausgemessen,  ein bisschen unseren Wünschen angepasst und schon war sie unser, perfekt!

Überraschende Neuigkeit aus Seoul

Unabhängig von meinem First Trip Home, hatte ich ja im letzten Jahr meine Adoptionsagentur (SWS) in Seoul kontaktiert. Beide Suchen laufen momentan parallel. Und heute habe ich eine E-Mail vom SWS bekommen, dass die Polizei einen Mann gefunden hat, der möglicherweise mein biologischer Vater sein könnte. Die Vermutung ist sehr, sehr vage, aber doch mehr, als ich überhaupt erwartet hatte. Die Polizei hat ihn bereits einmal erfolglos kontaktiert und versucht es nun wieder.
Natürlich habe ich die Mitarbeiter von G.O.A.L. darüber informiert. Mir wurde versichert, dass sie meinen Fall vorantreiben wollen, bis ich in Korea bin.

Obwohl für mich die Suche nach der biologischen Familie, im Englischen gibt es übrigens einen viel besseren Begriff dafür: birth family nämlich, gar nicht so sehr im Vordergrund steht, bin ich sehr aufgeregt gewesen. Und eigentlich bin ich es auch jetzt noch. Wer weiß welche Geheimnisse meine Akte zu Tage bringen wird. Es ist schon häufig vorgekommen, dass die Akten dort, in Korea ganz andere Informationen enthalten, als die der Adoptionseltern.

Programm des First Trip Home 2015

Endlich ist der Zeitplan da. Es ist nur ein grober aber doch schon sehr voller Zeitplan. Und hier ist er nun:

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Ich bin sehr gespannt auf all die Programmpunkte. Am meisten wohl darauf, was mich bei meiner individuellen Planung erwarten wird. Diese Pläne werden nach dem Besuch der Adoptionsagenturen gemacht und richten sich danach was in den Akten zu finden ist. Ich freue mich schon sehr auf die Reise, obwohl die Sorge wegen der Kinder, wie die Vorfreude wächst.

Eine ganz andere Sache gibt mir noch zu denken. Da in Korea noch immer Hund auf so einigen Speisekarten steht, habe ich etwas Angst dort auf einem Markt über Hunde als Schlachtvieh zu stolpern. Ich wüsste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich finde eigentlich, dass es sicher Schlimmeres gibt, als Hunde zu essen. Auf dem Teller sieht ja eh alles gleich aus. Aber der Anblick unserer treuen Begleiter wie unsere armen Schweine in Käfigen, das mag ich mir nicht vorstellen. Überhaupt bin ich mir nicht sicher, ob mir in Korea alles gefällt. Aber muss es das überhaupt? Und wieso denke ich darüber nach? Wenn ich nach Paris reise, überlege ich auch nicht vorher, ob ich da Schnecken im Topf sehe oder der Eifelturm eigentlich hässlich ist. Es ist ein anderes Gefühl. Ich wollte diese Reise als Urlaubsreise verbuchen, doch je näher der Abreisetermin rückt, desto weiter rückt diese Vorstellung in die Ferne. Es ist doch viel mehr als nur Urlaub. Es ist ein First Trip Home. Heißt das nun, dass ich nach Hause komme? Sollte ich Korea wirklich als meine Heimat sehen? Mit Sicherheit ist Korea ein Teil von mir, ein Teil meines Lebens, aber Heimat? Deutschland ist meine Heimat, hier lebe ich, hier fühle ich mich wohl. Wie wird es aber sein, in Korea aus dem Flieger zu steigen, zwischen all den Asiaten? Wie sehr verwurzelt bin ich noch mit dem Land, in dem ich geboren wurde, mit dem ich aber nichts verbinde? Einem Land, das mich und Hunderttausende andere Kinder in alle Welt verstreut und exportiert hat, wie Waren. Das uns verstoßen hat und es nun bereut. Manchmal scheinen mir die Wurzeln trotzdem schon sehr tief. Sie stecken irgendwo in mir fest und melden sich hin und wieder zu Wort. Wer weiß, was mit ihnen dort passiert, wo sie kaum Zeit hatten auszutreiben. Ob sie wohl mit voller Kraft nach Draußen drängen, sobald ich koreanischen Boden betrete?

Barneveld 2. Versuch

Nachdem die olle App meinen Beitrag ins Nirvana geschickt hat, kommt etwas verspätet der Ersatz.

Samstag bin ich recht früh ins Auto gestiegen und habe mich auf den Weg in die Niederlande gemacht. Gegen 10:15h habe ich mein Auto auf dem Parkplatz gegenüber vom Bahnhof abgestellt. Da haben wir schon geparkt, als ich noch ein Kind war.

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Und weil ich so pünktlich war, hatte ich noch Zeit durch die Stadt zu schlendern. Es hat sich so viel verändert aber das Wichtigste gibt es noch: Intertoys. Das war für mich immer die erste Adresse. Da gab es so tolle Dinge: Prickelbilder, Zauberbilder, riesige Packungen Filzstifte. Ich habe den Laden so sehr geliebt. Scheinbar ist das noch heute so, denn ich bin vir lauter Stöberei fast zu spät gekommen. Sun Mi wartete schon auf dem Parkplatz, als ich eiligen Schrittes dorthin zurück lief. Und sie hatte mir sogar etwas mitgebracht. <3

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Was da wohl drin ist? Natürlich Leckereien :)

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Hagelslag in jeder erdenklichen Variante. So lecker, nochmal ganz lieben Dank dafür! Ich habe leider ganz versäumt meinerseits was mitzubringen. Vielleicht kann ich mich in Korea revanchieren. Tatsächlich ist sie eine sehr Liebe und wir haben uns toll unterhalten. Die Zeit ist so schnell verflogen und ich hätte da gerne noch ein paar Stunden sitzen und klönen können. Aber gegen 14:00h haben wir uns dann doch verabschiedet. Und ich freue mich schon darauf sie in Seoul wieder zu treffen.

Ich war dann noch mit meiner Tante verabredet, hatte aber noch kurz Zeit ein paar Fotos zu machen.

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Ganz links hat das Haus meiner Oma gestanden.

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Und hier ganz hinten rechts war der Supermarkt zu dem sie immer lief. Und mit dessen Einkaufswagen sie jedes Mal die Straße entlang ratterte.

Anschließend habe ich natürlich Albert Heijn aufgesucht, um dort einzukaufen. Noch mehr Hagelslag, Beschuit, Conimex Pinda Saus, Nasi Gewürz,…lauter leckere Dinge wanderten in meinen Korb.  Dann ging es zu meiner Tante. Sie hat für uns Pizza bestellt. Dabei fiel mir auf, dass ich noch niemals Pizza in Holland gegessen habe. Ich sollte das wiederholen, die war nämlich sehr lecker. Meine Cousine hatte leider keine Zeit. Aber ich bin sicher, wir werden mal eine Gelegenheit finden uns zu treffen.

Um 19:15h trat ich den Heimweg an und kam spät abends gut wieder zuhause an.

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Fazit: Die Fahrt hat sich wirklich gelohnt. Sun Mi zu treffen war eine richtig gute Entscheidung. So habe ich in Korea direkt jemanden, den ich kenne und fühle mich nicht mehr ganz so sehr ins kalte Wasser geschubst. Außerdem ist es doch immer schön, wenn die Kindheitserinnerungen mal wieder geweckt werden. Es hat mir Spaß gemacht Barneveld neu zu erkunden. Ich mag die Stadt sehr gerne. Gemütlich irgendwie und doch ist alles da, um meiner Konsumsucht zu frönen.

Und was sich in Seoul tut? Das ist schnell erzählt, nämlich nichts. Hoffentlich kommen vor der Abreise noch ein paar Informationen. So ganz planlos fühle ich mich nicht so wohl.